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Die Scherzglocke [Xieduo 諧鐸]

   

von Shen Qifeng 沈起鳳

Auswahl, Übersetzung aus dem Chinesischen, Einleitung und Anmerkungen von Rainer Schwarz

 
   
   

Reihe Phönixfeder 26
OSTASIEN Verlag
Paperback (21,5 x 12,5 cm), xix + 145 Seiten
2015. € 17,80
ISBN-13: 978-3-940527-82-0 (978-3940527820, 9783940527820) ISBN-10: 3-940527-82-3 (3940527823)
Vertrieb: CHINA Buchservice / Bestellen

 

 

 

Unter den Nachfolgern des großen Pu Songling 蒲松齡 (1640–1715), der die phantastische Geschichte in geschliffener chinesischer Schriftsprache zu neuem Leben erweckte, gehört Shen Qifeng (1741–1802) zu den Autoren, die ihre Leser nicht einfach unterhalten, sondern auch auf unterhaltsame Weise erziehen wollten.

Dem heutigen deutschen Leser eröffnen seine Geschichten einen kleinen Einblick in das chinesische Alltagsleben und die chinesische Denkweise während der letzten Blütezeit der mandschurischen Qing-Dynastie.

 

Rainer Schwarz wurde 1940 in Berlin geboren. Er studierte Sinologie, promovierte zum Dr. phil., war dreißig Jahre lang als Dolmetscher tätig und übersetzte ein gutes Dutzend Bücher aus dem Chinesischen und dem Russischen.

   
   

Inhalt

 
   
Einleitung  
——————————————————————
 

Ein Hase wird schwanger

兔孕

Ein klug erdachtes Bild als wirksame Medizin

妙畫代良醫

Amtsverlust einer einzigen Münze wegen

一錢落職

Mit zwei Fingern um Ehrung bitten

兩指題旌

Eine Warnung vor sinnlicher Begierde

色戒

Eine Bettlerin begeht Selbstmord um ihrer Keuschheit willen

丐婦殉節

Im Dorf der üppigen Pfirsichblüten

桃夭村

Eine ungewöhnliche Eheschließung

奇婚

Prüfungserfolg durch einen Furz

泄氣生員

Caihua, die Frau des Dritten Heiligen

菜花三娘子

Worauf der Ruhm eines gefeierten Freudenmädchens sich gründet

名妓沽名

Ein ungewöhnliches Mädchen nimmt Rache für erlittenes Unrecht

奇女雪怨

Ein Traum im Traum

夢中夢

Im Höllenbordell

香粉地獄

Ein lesender Hund

識字犬

Der Geist einer toten Frau führt den Haushalt

鬼婦持家

Ein Fischmensch als Sklave

鮫奴

Im Dorf der alten Frau Meng

孟婆莊

Kondolenz für einen Lebenden

生吊

Der Tigerjäger

壯夫縛虎

Die spitze Zunge eines Mädchens vom Lande

村姬毒舌

Der letzte Wille einer keuschen Witwe

節母死時箴

Heimliche Spiele auf der Handfläche

掌中秘戲

Spürbare Vergeltung für Mordlust

眼前殺報

Die Dämonen der Ausschweifung hinter meinem Rücken

腦後淫魔

Ein Daoistenmönch als meisterhafter Physiognomiker

道人神相

Zikadien

蟪蛄郡

Eine vom Schicksal vorherbestimmte Eheverbindung

命中姻眷

Der Glücksrabe

祥鴉

Eine Hausmagd bringt Räuber zur Strecke

青衣捕盜

Ein übler Gast macht der Ausschweifung ein Ende

惡客除淫

Das Duftmädchen aus der Hibiskusstadt

芙蓉城香姑子

Hochzeit mit einem Totengeist

鬼婿

Der spukende Büchergeist

書神作祟

Der von seiner Frau beherrschte Kreisvorsteher

怕婆縣令

Die findige Ehefrau

搗鬼夫人
 
Maße und Gewichte  
 
Anmerkungen  
   

Einleitung

Die Glocke, die Shen Qifeng 沉起鳳. hier zum Tönen bringt, ist nicht die mit einem Holzbalken von außen geschlagene große Bronzeglocke zhong 鐘, wie sie im Glockenturm an zentraler Stelle der altchinesischen Metropolen hing, um mit ihrem „der Stimme eines Walfischs gleichendem Klang“ Beginn und Ende der Nachtruhe und damit der nächtlichen Ausgehsperre anzuzeigen – am Abend mit 108 (3 x 36) Schlägen, um zum einen die Menschen im Sinne der buddhistischen Lehre an die 36 Kümmernisse in ihrer vergangenen, gegenwärtigen und künftigen Existenz zu erinnern und um ihnen zum anderen ganz praktisch noch etwas Zeit zu lassen, bis die Stadttore geschlossen wurden, und am Morgen mit einem einzigen Schlag, der das Zeichen zum Öffnen der Stadttore war.

Shen Qifengs Glocke ist die mit einem Klöppel versehene bronzene Handglocke duo 鐸, die zu seinen Lebzeiten noch in Gebrauch war, beispielsweise um Alarm zu schlagen. Einen Beleg hierfür liefert Shen Qifengs Zeitgenosse Yu Jiao 俞蛟, der bei der Beschreibung seiner Erlebnisse während eines Angriffs von Aufständischen auf die Stadt Linqing im Jahre 1774 erwähnt:

Man hörte […], wie in den Straßen und Gassen die Handglocken geschlagen und die Milizmänner nach den Listen auf die Stadtmauer gerufen wurden. (Kurze Darstellung des Überfalls auf Linqing / Linqing kou lüe 臨清寇略)

Aber nicht den praktischen Zweck der Handglocke hatte Shen Qifeng im Sinn, als er seinem Buch den Titel Scherzglocke (Xie duo 諧鐸) gab, sondern ihre tief in der chinesischen Tradition verwurzelte symbolische Bedeutung.
Alten Überlieferungen zufolge ließ sich der König, um des Volkes Art zu erforschen, auf seinen turnusmäßigen Inspektionstouren durch das Reich vom Musikmeister Gedichte vorlegen, was auf dem alten Glauben beruht, das Gedicht verrate des Menschen Gesinnung; er schickte zu Jahresbeginn „solche, die da sammeln“ auf den Weg, Männer mit einer Handglocke als Kennzeichen des Herolds, damit sie, wie angenommen werden darf, ihm die umlaufenden Volkslieder hinterbrächten, enthielt doch das Volkslied möglicherweise einen göttlichen Rat (Gerhard Schmitt).

Das erinnert uns an das Buch der Lieder (Shijing 詩經), das zu den kanonischen Schriften des Konfuzianismus gezählt wird, weil es angeblich vom heiligen Lehrer Konfuzius redigiert worden ist. Der Überlieferung nach waren die Texte des Buches von einem speziellen Beamten aus den Volkskreisen der einzelnen Teilstaaten des Landes gesammelt worden, um dem Herrscher einen Einblick ins Leben des Volkes zu geben, damit er den Staat besser regieren konnte.

Wie lebendig diese Tradition bis zum Ende der nachhaltig konfuzianisch geprägten Kaiserzeit in China geblieben ist, zeigt eine rund einhundert Jahre nach Shen Qifeng unter dem Titel Glocke der Dichtung der herrschenden Dynastie (Guochao shiduo 國朝詩鐸) veröffentlichte Anthologie der Gedichte von über 900 Dichtern der Qing-Zeit. Darin finden sich, thematisch geordnet, neben Lobhudeleien auf das Herrscherhaus und Lobpreisungen militärischer Erfolge bei der Unterdrückung von Rebellionen und unbotmäßigen Völkerschaften auch viele kritisch-realistische Gedichte über gesellschaftliche Missstände, so über das Hungerdasein der bäuerlichen Bevölkerung als Folge von Naturkatastrophen und von Ausplünderung durch die Grundbesitzer und Wucherer, über die Härte des Militärdienstes und des gleichermaßen vom Staat befohlenen Frondienstes beim Deichbau und ähnlichen Großprojekten, über die Korruption der Beamten, über die Grausamkeit der Amtsbüttel und anderes mehr.

So entpuppt sich die Scherzglocke als eine Art Sittenspiegel der letzten Blütezeit der mandschurischen Qing-Dynastie, der Ära Qianlong 乾隆 (1736–1795) nämlich, in die der größte Teil von Shen Qifengs Dasein fiel, der 1741 im Kreis Wu (Wu­xian 吳縣), das heißt in Suzhou 蘇州 oder Umgebung, geboren wurde und um das Jahr 1802 starb.

Tatsächlich vermittelt auch die hier übersetzte Auswahl seiner Geschichten nach Abzug des phantastischen Elements einen Einblick in unterschiedliche Bereiche des chinesischen Alltagslebens in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Um die Habgier und die Speichelleckerei von Beamten geht es genauso wie um die Verachtung der orthodoxen Literaten für Geld und Geldverdienen. Ein wichtiges Thema in Shen Qifengs Leben wie in seinen Geschichten sind auch die staatlichen Prüfungen, die man auf allen Ebenen bestehen musste, um erfolgreich nach einem Beamtenposten zu streben, wie es die moralische Pflicht jedes gebildeten Mannes im alten China war.

Dabei war Shen Qifengs Blick besonders geschärft für die Schattenseiten des Prüfungswesens, denn er gehörte zum gro­ßen Heer derer, die zwar die Prüfung auf Provinzebene bestanden hatten (1768), aber in der nachfolgenden hauptstädtischen Prüfung scheiterten. Dies widerfuhr Shen Qifeng von 1769 bis 1781 fünfmal hintereinander, während sein jüngerer Bruder Qingrui 沈清瑞 (1758–1791) 1783 die Prüfung auf Provinzebene und schon bei der übernächsten Gelegenheit (1787) die hauptstädtische Prüfung glücklich absolvierte.

Als Beamter musste sich Shen Qifeng schließlich mit einem recht geringfügigen Posten zufriedengeben, von 1788 bis zu seinem Tode diente er als Studiendirektor auf Kreisebene (xun dao 訓導) an zwei Orten hintereinander (Qimen 祁門. und Quanjiao 全椒, beide in der Provinz Anhui 安徽). In diesem Amt hatte er sich um die Studenten und die Prüfungskandidaten aus dem jeweiligen Kreis, um den Konfuziustempel in der Kreisstadt und ähnliche Angelegenheiten des konfuzianischen Bildungswesens zu kümmern, mit Rangstufe 8a stand er ziemlich weit unten auf der neunstufigen Rangleiter. (Jede Stufe gliederte sich in die Unterstufen a und b, so dass es eigentlich 18 Rangstufen waren, von denen Shen Qifeng auf Stufe 15 stand.) Mittelbar hergeleitet von jenen sammelnden Herolden des Altertums, lautete eine literarische Bezeichnung für die Provinzbeamten im Bildungswesen „Handglockenträger“ (bingduo 秉鐸), was einen weiteren Bezug zum Titel des Buches ergibt.

Während seiner Dienstzeit in Qimen erschien 1792 die Erstausgabe der Scherzglocke, was durch die unter dem Titel Gelegentliche Aufzeichnungen über Buch­verkäufe (Fanshu ouji 販書偶記, 1936) veröffentlichten Notizen des Antiquars Sun Dian­qi 孫殿起 (1894–1958) belegt ist. Gedruckt war diese Erstausgabe im praktischen Taschenbuchformat, das im alten China „Taschentuchkästchen­format“ (jinxiang ben 巾箱本) genannt wurde.

Ein wichtiges Anliegen von Shen Qifengs Geschichten sind die Grundsätze der konfuzianischen Moral, der Gehorsam der Kinder gegenüber den Eltern und der Frau gegenüber den Schwiegereltern, die unbedingte lebenslange Treue der Ehefrau ihrem Mann gegenüber, selbst nachdem dieser tot ist, die Sklaventreue gegenüber dem Herrn usw. In ähnlicher Weise lagen ihm auch religiös begründete Moral­prinzipien am Herzen, er verficht die buddhistische Lehre von Wiedergeburt und Vergeltung und lehrt die buddhistischen Gebote: Kein Leben zerstören, nicht ausschweifend sein.

Dabei ist eine Besonderheit seiner Geschichten im Vergleich zu ähnlichen Werken anderer Verfasser seiner Zeit die große Aufmerksamkeit, die er sexuellen Themen widmet, wobei er erstaunlicherweise durchaus nicht zimperlich ist: von der polygamen Ehebeziehung, wie sie im alten China normal war, über ebenso übliche bisexuelle Beziehungen, über Bordellbesuch und skrupellosen Seitensprung bis hin zum modern anmutenden Gruppensex kommt alles zur Sprache, sogar ein Beleg für die Verbreitung der Syphilis im damaligen China ist zu finden. In solchen Passagen ist Shen Qifengs Ausdrucksweise oft reichlich unverblümt. Sind es eventuell diese Stellen, die Lu Xun 魯迅 (1881–1936) im Sinn hatte, als er in seiner Kurzen Geschichte der chinesischen Erzählliteratur (Zhongguo xiaoshuo shilüe 中國小說史略, 1923), schrieb, Shen Qifengs Stil sei „vulgär“?[1]

Lu Xuns zweite Charakterisierung von Shen Qifengs Stil als „gekünstelt“ trifft eher zu, da aber der bis zum äußersten verknappte Stil der klassischen chinesischen Literatursprache bei der Übertragung in eine europäische Sprache ohnehin auch nicht annähernd nachgeahmt werden kann, muss und darf nicht befürchtet werden, dass sich dieses Gekünstelte in der vorliegenden Übersetzung widerspiegelt. Ebenso ist es in den allermeisten Fällen mit Shen Qifengs oft sehr gesuchter Wortwahl, die mit Vorliebe auf alte Gedichte und andere alte Texte zurückgreift, um die Belesenheit des Autors unter Beweis und die des Lesers auf die Probe zu stellen. Dies ist allerdings das übliche Verfahren der Verfasser solcher Geschichten, nur graduelle Unterschiede sind zu beobachten.

Erstaunlich ist, dass Lu Xun den Sinngehalt der Scherzglocke als „übertrieben spaßig“ bezeichnet. Meint er vielleicht, ernste Themen dürften nicht in scherzhafter Weise behandelt werden? Das ist aber bei Shen Qifeng durchaus nicht häufig der Fall. Im Gegenteil, bei manchen seiner Geschichten fragt man sich, ob sie das Etikett Scherz zu Recht tragen, wenn dieser Begriff „sowohl ein erheiterndes Geschehen wie dessen erzählerische Wiedergabe“ bezeichnet (Jacob und Wilhelm Grimm). Möglicherweise verstand ja auch Shen Qifeng den Scherz als „Gegensatz zu Ernst und damit zu Wahrem“ (Moriz Heyne). Ebenso ist es denkbar, dass er seine Satiren auf gesellschaftliche Verhältnisse unter dem Deckmantel des Scherzes tarnen wollte, oder aber er zielte auf die Werbewirksamkeit des Wortes Scherz, um den Absatz des Buches zu fördern. Letzte Sicherheit für die Gründe, die Shen Qifeng zur Wahl dieses Titels veranlassten, können wir leider nicht gewinnen, da dem Buch kein Vorwort des Verfassers beigegeben ist.

Aus demselben Grund bleibt auch unklar, woher Shen Qifeng die Mehrzahl der Stoffe seiner Geschichten bezog, die nicht wirklich oder vorgeblich auf eigenem Erleben oder auf dem Bericht eines Verwandten bzw. Verschwägerten oder eines Bekannten beruhen.

Im Zusammenhang mit einem in dem Buch geschilderten Erlebnis, das Shen Qifeng gehabt haben will, informiert er uns zugleich über ein weiteres Gebiet seines literarischen Schaffens. Denn er war nicht nur Geschichtenerzähler und Dichter – eines seiner Gedichte wurde in die obenerwähnte Anthologie Guochao shiduo aufgenommen –, in erster Linie war er zu seiner Zeit als Bühnenautor berühmt. Allerdings weiß man zwar, dass er weit mehr als dreißig Bühnenwerke verfasst hat, doch sind davon heute viele nicht einmal mehr dem Namen nach bekannt, lediglich von vier Stücken sind die Texte erhalten geblieben. Ob das daran liegt, dass die meisten vernichtet wurden, wie er es in der Geschichte Die Dämonen der Ausschweifung hinter meinem Rücken erzählt, oder vielmehr daran, dass nur jene vier von seinem vermögenden Freund Shi Yunyu 石韞玉 (1756–1837) in Druck gegeben wurden, ist nicht zu klären. [Dieser Shi Yunyu ist derselbe, der uns in den Sechs Aufzeichnungen über ein un­stetes Leben (Fusheng liu ji 浮生六記) auch als Freund von Shen Fu 沈復 (1763–1825) begegnet. Im Übrigen spricht nichts dafür, dass die beiden Shen, obwohl am selben Ort zu Hause, näher miteinander verwandt gewesen wären.] Von Shen Qifengs Ruhm als Bühnenautor zeugt die Tatsache, dass er zwei Mal (1780 und 1784) von den zuständigen Lokalbeamten gebeten wurde, Bühnenstücke zu verfassen, die sie dem Kaiser vorspielen ließen, als dieser die letzten beiden seiner insgesamt sechs mit größten Aufwand betriebenen „Südreisen“ an den Unterlauf des Yangzi-Stromes unternahm.

Obwohl die Handlung der meisten Geschichten der Scherzglocke deutlich genug als rein fiktiv zu erkennen ist, hat sich 120 Jahre nach Shen Qifeng ein anderer Autor (Lei Jin 雷瑨, 1871–1941) nicht geniert, die Geschichte Der von seiner Frau beherrschte Kreisvorsteher wortwörtlich in seine Sammlung angeblich echter Anekdoten Aufzeichnung von einhundert Merkwürdigkeiten aus den Amtshäusern der Qing-Dynastie (Qingdai guanchang bai guai lu 清代官場百怪錄, 1913) aufzunehmen, wobei er nur den Schluss leicht verändert hat. Der Titel der Geschichte lautet dort Schlau sein wollen, aber sich als Narr erweisen, indem man sich den Kopf aufschlägt (Kepo toupi nongqiao chengzhuo 磕破頭皮弄巧成拙).

Um an interessante Stoffe für Geschichten zu kommen, gab es für Leute wie Shen Qifeng mehrere Möglichkeiten. Über die Schaffensmethode von Pu Songling 蒲松齡 (1640–1715), dessen Merkwürdigkeiten, aufgezeichnet in der Studierstube „Für den Augenblick“ (Liao Zhai zhiyi 聊齋志異) mindestens seit dem Erscheinen der ersten gedruckten Ausgabe im Jahre 1766 für die nachfolgenden Generationen chinesischer Literaten ein gefeiertes Vorbild auf dem Gebiet von Geschichten in klassischer Literatursprache waren und zirka 120 Jahre lang viele von ihnen zu immer neuen Nachahmungen anregten, erzählt Zou Tao 鄒弢 (1850–1931) in seinen Literarischen Skizzen aus der Hütte des dreifachen Borgens (Sanjie Lu bitan 三借廬筆談):

Als er das Buch schrieb, postierte er sich jeden Morgen mit einem großen Krug voll Tee und mit einem Päckchen Tabak am Rand einer Straße, auf der Leute entlanggingen. Unten breitete er eine Schilfmatte aus, auf die er sich setzte. Er stellte den Teekrug neben sich, legte den Tabak dazu und verwickelte dann jeden, der vorbeikam, in ein Gespräch, wobei er nach Seltsamkeiten fahndete und sich über Merkwürdigkeiten unterhielt, je nachdem, was der Betreffende wusste. War der durstig, gab er ihm Tee zu trinken, sonst aber schenkte er ihm Tabak. Auf jeden Fall aber ließ er ihn ausführlich erzählen. Wenn es sich traf, dass er etwas in Erfahrung brachte, ging er nach Hause und malte es aus. So verfuhr er zwanzig Jahre lang, ehe das Buch fertig war, dadurch ist seine Schreibweise meisterhaft.[2]

Dieser Bericht ist jedoch mit Vorsicht zu genießen, denn Zou Tao lebte etwa 200 Jahre später als Pu Songling und Hunderte von Kilometern von dessen Heimatort entfernt.

Wie der weitgehend sinisierte Mandschudichter Hebengge (chin. Hebang’e 和邦額, geb. 1736) zu einem Teil der Stoffe kam, die er bis 1779 zu einer Sammlung merkwürdiger Geschichten verarbeitete, berichtet er selbst im Vorwort zu seinen Nachtgesprächen, niedergeschrieben (Yetan suilu 夜譚隨錄):

Ich bin jetzt 44 Jahre alt, und noch ist mir kein Wunder begegnet. Aber ich liebe es, immer wieder mit zwei, drei Freunden zusammen beim Wein- oder Teetrinken die Kerze zu löschen und über Gespenster zu reden oder im Mondlicht zu sitzen und von Fuchsgeistern zu sprechen. Wurde dabei etwas Außergewöhnliches berührt, so habe ich es notiert, und im Laufe der Zeit ist ein Buch daraus geworden, das dem eigenen Vergnügen dient.[3]

Bestätigt wird diese Darstellung von seinem Freund Alimboo (chin. Alinbao 阿林保, gest. 1809), der 1789 den Druck der Erstausgabe besorgte, in einem eigenen Vorwort:

Ich erinnere mich, wie ich vor zehn Jahren in der Studierstube „Frühlingsfreude“ mit den Herren Jiyuan 霽園 [d. i. Hebengge] und Lanyan 蘭岩 [d. i. Gongtai 恭泰] von früh bis spät Umgang hatte. Manchmal hörten wir die Trommelschläge von der Hauptstraße, oder wir teilten bei nächtlichem Regen miteinander das Bett. Wir kochten Tee und führten erhabene Gespräche und vergaßen darüber den Schlaf. Dann trug jeder von uns neuartige und erstaunliche Dinge vor, um die Kenntnisse der anderen zu erweitern. Jiyuan aber fasste das Erzählte schriftlich zusammen, um ein Buch daraus zu machen, dem er den Titel „Nachtgespräche, niedergeschrieben“ gab.[4]

Was hier im engsten Kreis vertrauter Freunde geschah („Selig, wer sich vor der Welt ohne Hass verschließt, einen Freund am Busen hält und mit dem genießt, …“), spielte sich um dieselbe Zeit mit anderen Beteiligten und in einer anderen Gegend des riesigen chinesischen Reiches, die von Shen Qifengs Heimatort nicht weit entfernt liegt, ähnlich auch in großer Runde ab. Darüber hat Li Dou 李斗 (gest. 1817), der aufmerksame und unermüdliche Chronist der einstmals blühenden Stadt Yangzhou am Kaiserkanal, unter dem Titel Aufzeichnungen über die bunten Boote von Yangzhou (Yangzhou huafang lu 揚州畫舫錄, Vorwort 1796) einen ebenso aufschlussreichen wie stimmungsvollen Bericht hinterlassen:


[Yangzhou huafang lu 12; siehe auch die kodierte Fassung in ctext.org, Abschnitt 6]

Sechs Tage nach Neumond im 7. Monat des 28. Jahres des Sechzigerzyklus [in der Ära Qianlong], am 42. Tag des Sechzigerzyklus [d. i. der 16. August 1771], wurde ich von Besuchern auf den See [den Mageren Westsee] eingeladen. Ein Kübel Reiswein, fünf Dou Reis, ein Kessel mit drei Füßen, 26 Lampen, ein Schachspiel, eine Längsflöte und zwei Staken sowie 22 Gäste und Bootsleute zusammen auf einem Boot, das auf die Mitte des Stroms zusteuerte. Manche saßen an die Reling gelehnt, manche schauten hinunter auf das fließende Wasser, manche wetteiferten darin, welches der beste Tee sei, manche spielten miteinander Schach. Manche sahen ihnen von der Seite her andächtig dabei zu, manche bedauerten sie ihrer mangelhaften Fähigkeiten wegen und machten ihnen Zeichen mit der Hand, manche zwirbelten sich den Bart und seufzten laut, manche stritten um Sieg und Niederlage, ohne am Spiel beteiligt zu sein. Eine Partie war kaum beendet, da begann schon die nächste, bei der verlor, wer eben gewonnen hatte, und umgekehrt, so dass ein wechselseitiger Kampf daraus wurde. Manche zogen sich Schuhe und Strümpfe aus, manche sangen, manche stimmten mit ein, manche sahen sich nach allen Seiten um und machten einander auf einzelne Punkte aufmerksam, manche warfen sich über die Köpfe der anderen hinweg vielsagende Blicke zu, manche wechselten Rufe von Boot zu Boot. Die Sitz­ordnung geriet durcheinander, und es kam nicht dazu, dass ein Platz warmgesessen wurde.

Jetzt fuhr das Boot in die Bucht der Grünen Pappeln ein, bewegte sich und stand still. Wir stiegen aus und bereiteten das Essen zu. Nach dem Essen waren die Gäste des Lärms überdrüssig und verzichteten aufs Schachspielen. Sie wanderten auch nicht umher, sondern setzten sich gemeinsam in das Haus, wo der Himmel sich im Wasser widerspiegelt, und jeder erzählte Geschichten. Nachdem die Herzen der Menschen eben Ruhe gefunden hatten, kam die Kraft des gesprochenen Wortes sogleich zur Geltung. Aus Erzählungen aus der Tang- und der Song-Zeit und aus den verschiedenen Büchern mit Berichten über Wunder wurde zitiert, es gelangte einfach alles zum Vortrag. Vom glatzköpfigen Greis mit graumelierten Brauen bis zum milchgesichtigen Jüngling waren die Menschen wie ihre Worte und ihre Worte wie ihre Taten. Auch gab es Fälle, wo eine Absicht in eine Götter- oder Geistergeschichte gekleidet wurde. Und wenn erreicht war, dass eine Nachprüfung unmöglich gemacht wurde, ergab das den strahlendsten Glanz. Die einen nannten den Ort des Geschehens und gestalteten die Erzählung geisterhaft, indem sie sagten: „Den und den Fall aus der und der Zeit hat mein Vorfahr in Erfahrung gebracht.“ Oder: „‘In dem und dem Dorf in der und der Gegend habe ich das in meiner Kindheit mit eigenen Augen gesehen.“ Merkwürdigkeiten wurden miteinander verwoben, historische Anekdoten wurden ausgegraben, und mit Vulgaritäten wurde man belästigt. So zahlreich waren die Geschichten wie die Fasern eines Seidenfadens oder die Zinken eines Kammes. Sobald ein seltsames Erlebnis erzählt war, zeigten die Mienen Zufriedenheit, und wenn die Rede gelegentlich auf die Liebe kam, waren alle hingerissen. Und kamen Trivialitäten vor wie Lieder und Scherze, buddhistische Beschwörungsformeln und Schamanengesänge oder auch Schauspieler, dann war es, als hielte man ihnen die größten Kostbarkeiten hin, oder als läsen sie in einem seltenen Buch.

Unbemerkt war der endlose Tag leicht vergangen. Die sinkende Sonne färbte sich rot, und im aufkommenden Dunst wurde die Landschaft abendlich. Wir tranken dann im Innern des Hauses. Nach drei Runden Wein spielten die einen Fingerknobeln, die anderen becherten für sich allein. Die einen sangen, und die anderen aßen. Es blieb den Gästen überlassen, was jeder tun wollte. Als vom Wein die Ohren glühten, erklang die Flöte. Vom himmlischen Rinderhirten [dem Stern Atair] begleitet, glitt unser Boot in Dunst und Wogen hinein. Die welken Herbstblumen an beiden Ufern schauten selbstgefällig, und wo die Abendwolken aufrissen, leuchtete seicht die Milchstraße. Die duftenden Gräser wurden zu Glühwürmchen, deren Licht die Menschen beschien. Die bekümmerten Zikaden wollten von den Bäumen nicht lassen, klagten in die Nacht hinein und riefen einander. Der junge Mond hatte noch keine Kraft und drohte im Wasser zu versinken. Die Nacht war still, und die Berge waren menschenleer, unser kleines Boot schwankte auf den Wellen. Der Lampenschein gleißte, Wassernussstengel trieben einher; der Bambus raschelte, Vögel flogen auf. Als der Morgenhimmel bald hell werden wollte und die Tempelglocke zum ersten Mal erklang, machten alle im Boot ein Gesicht, als täte es ihnen leid auseinanderzugehen. „Was für eine Nacht ist heute Nacht?“ Wohl die, die bei den Alten „die Nacht des Siebten“ hieß. Als das Boot wieder angekommen war, legten wir uns zusammen im Erdgeschoss des Hauses von Himmelslicht und Wolkenschatten schlafen, und nachdem die Nacht des Siebten vorbei war, stiegen wir am Achten gemeinsam ins Obergeschoss des Hauses hinauf. Wir wuschen uns weder Hände noch Füße, aßen und tranken nichts, sprachen und lachten nicht. Wer den Kopf hob, legte die Hände auf den Rücken; wer unter dem Dachvorsprung hin und her ging, machte halbschnelle Schritte; wer sich ans Geländer lehnte, stützte Mann für Mann den Kopf in die Hände; wer unverwandt nach etwas schaute, hielt unfehlbar den Atem an; wer gähnte und sich streckte, den schläferte noch; wer lässig mit gespreizten Beinen dasaß, machte meist eine scheele Miene. Jeder dachte an Ungebundenheit und an Flucht aus dem Alltag.[5]

Doch egal, welcher Methode Shen Qifeng sich bedient hat, um das Material für seine Geschichten zu sammeln, das Ergebnis ist ein Werk, das auch mehr als zweihundert Jahre nach seinem ersten Erscheinen noch die Lektüre lohnt, wenn man wissen will, wie die Menschen im damaligen China gelebt und gedacht haben.

Nach dem Vorbild von Pu Songling hat auch Shen Qifeng seinen Geschichten jeweils eine kurze Moral angehängt, die er mit den Worten „die Glocke sagt“ einleitet. Als Beispiel sei hier der Anhang der Geschichte Amtsverlust einer einzigen Münze wegen angeführt:

Die Glocke sagt: „Der Münzgeist nimmt Myriaden von Gestalten an, und in jeder dieser Gestalten verführt er die Menschen dazu, unklug zu handeln. Man sage nicht, eine einzige Münze sei verschwindend wenig. Ein Rinnsal, das man nicht absperrt, wird zum gewaltigen Strom. Eine Fackel, die man nicht auslöscht, wird zum Steppenbrand. Ich möchte, dass die Mäßigkeit der Beamten schon bei einer einzigen Münze beginnt.“

Da die Moral der Geschichten auch ohne erhobenen Zeigefinger klar erkennbar ist, wurde hier auf die Übersetzung dieser Erklärungen verzichtet.

[1]    Lu Xun, Zhongguo xiaoshuo shilüe, Abschnitt 22.
[2]    Sanjie Lu bitan, juan 10, zitiert nach Lu Xun: Abschriften alter Nachrichten über die Erzählliteratur (Xiaoshuo jiuwen chao 小說舊聞鈔).
[3]    Siehe Hebengge 2014, 4.
[4]    Siehe Hebengge 2014, xxviii.
[5]    Yangzhou huafang lu, juan 12. Die Passage mit den Trivialitäten ist einem Text von Xu Wei 徐渭 (Xu Wenchang 徐文長, 1521–1593) nachgebildet.



Xieduo (Blockdruck-Ausgabe von 1792 [Tôkyô daigaku]), 6.11b-13b

 

Ein Traum im Traum

Der Magister Zeng wollte an der hauptstädtischen Prüfung teilnehmen. Also befahl er einem alten Diener, ihn zu begleiten, schnürte sein Bündel und reiste nach Norden. Zur Nacht suchte er Zuflucht in einem Tempel des Weisen. Weil es schon dunkel wurde, sattelte er nur das Pferd ab und legte sich gleich schlafen. Als er gelegentlich einmal vor das Tor ging, sah er dort ein von Trauerweiden gesäumtes Ufer, von dem sich eine lange rote Holzbrücke über das Frühlingswasser spannte. In ein paar Dutzend blühender Aprikosenbäume pfiffen Eisvögel.

Zeng trat auf die Brücke und wanderte ans andere Ufer hinüber, wo er ein offenstehendes kreisrundes Tor erblickte, das in den Garten eines Anwesens führte. Mit langsamen Schritten ging er hinein. Von fern zeigten sich verzierte Fenster, hier und da standen schmucke Gebäude. Den Biegungen eines Wandelganges folgend, gelangte Zeng direkt in ein Schlafgemach, wo zwischen mehrfachen Perlenvorhängen, die mit roten Jadehaken gerafft waren, hinter einem Kristallwandschirm verborgen, ein Bett aus Korallen stand. Der rotorange Bettvorhang war noch nicht herabgelassen, die Kopfstütze aus Horn und die brokatene Zudecke verströmten den Duft von Moschus und Orchidee. Linker Hand stand ein Frisiertisch mit einem geöffneten Spiegelkästchen darauf, und auch die Puderschachtel war nicht ganz geschlossen. Von den grünlich blühenden Pfirsichzweigen, die in einer gallenblasenförmigen Vase steckten, waren Blütenblätter neben das Döschen mit Schminke gefallen.

Als Zeng hörte, dass der leise Klang von Phönixkopfschmuck näher kam, suchte er erschrocken zwischen den doppelten Vorhängen Zuflucht. Doch als er dann hinschaute, erkannte er, dass seine eigene Frau hereingekommen war. Er fragte, wie sie hierher käme, und lächelnd erwiderte sie: „Dies ist doch das Sommerhaus, das du neu gekauft hast. Wie kannst du so vergesslich sein?“

Zeng versuchte nicht, sich zu erinnern, nahm mit seiner Frau zusammen Platz und begann ein neckendes Gespräch, als plötzlich der Lärm rasch sich nähernder Pferde von draußen hereindrang. Er erhob sich, um nachzufragen, und da erwies es sich, dass man ihn als Prüfungsbesten bei der Palastprüfung zum Bankett im Aprikosengarten abholen kam. Sofort schwang er sich in den Sattel und folgte den Boten im Trab. Zehn Li unter blühenden Bäumen entlang und durch wirbelnden Staub hindurch, an unzähligen reichverzierten Häusern vorbei führte der Weg. Der Peitschenstiel war mit Gold überzogen, das Zaumzeug mit Jade geschmückt, der Anblick erfüllte Zeng mit Stolz.

Als er vom Bankett zurückkam, wartete seine Frau am Tor auf ihn. Weihrauch schwelte, und Kerzen brannten, und als sie einander daran erinnerten, wie er ehedem am kalten Fenster bis tief in die Nacht hinein studiert hatte, strahlten beider Gesichter vor Freude. Dann gingen sie zu Bett, und Zeng überlegte still für sich, dass seine Frau schon etwas ältlich war. Sollte er nicht jetzt, da er reich und vornehm war, eine Anzahl schöner Frauen erwerben, um seinen Harem zu füllen? Und kaum dass er den Kopf auf die Nackenstütze legte, ließ sich ein Besucher bei ihm melden und eröffnete ihm, er gehöre der reichen Familie X an, und um mit ihm als dem kommenden Mann Kontakt aufzunehmen, habe er zehn Hu Perlen aufgewendet und davon vier schöne Mädchen gekauft, die er ihm als Nebenfrauen zur Verfügung stelle.

Hocherfreut befahl Zeng sogleich, sie sollten hereingerufen werden. Es dauerte nicht lange, da standen alle vier mit weiß gepuderten Gesichtern und blauschwarz gefärbten Brauen dienstfertig vor ihm, die eine schmächtig wie Feiyan, eine andere füllig wie Yuhuan, und eine wie die andere bildschön. Zeng, der die Eifersucht seiner Frau fürchtete, führte die Mädchen in ein Nebengehöft und bat sie dort um ihre Namen. Die Füllige hieß Juanjuan („die Schöne“), die Zarte nannte sich Chuchu („die Schmucke“), die mit den leuchtenden Augen und den entzückenden Grübchen stellte sich als Qiantao („lieblicher Pfirsichbaum“) vor, und die, deren Haar an den Schläfen in langen Strähnen herabhing, wurde Chunliu („Weidenbaum im Frühling“) gerufen.

Zeng ordnete an, Juanjuan solle das Bettpolster ausbreiten, Chuchu musste die Decke holen, Qiantao ließ er die bestickten Kissen verteilen, und Chunliu erhielt den Auftrag, ihn von Kopfbedeckung und Kleidern zu befreien. Dann verschwand er als Erster nackt hinter den Bettvorhängen und wandte den Kopf, um zuzuschauen, wie die Mädchen sich auszogen. Sie legten die Florjäckchen ab, schälten sich aus den bestickten Röcken, streiften die Rabenkopfstrümpfe ab und die Freudenschuhe, lösten die rot verschnürten Haarknoten und stiegen endlich aus den rosa Hosen. Schneeweiß war ihr Fleisch, puderbleich ihre Haut, und jede war bemüht, vor den anderen im Bett zu sein.

Kurz darauf hielt Zeng eine Parfümierte im linken Arm und eine Geschminkte im rechten. Kreuz und quer lagen die Jadeleiber, und acht duftige Lotosblütenblätter reckten sich wetteifernd in die Höhe. Von seinen Gefühlen hin und her gerissen, wusste Zeng nicht, wem er sich zuwenden sollte.

Da rief seine Frau ihn plötzlich von hinten laut an. Jäh aus seinem Frühlingstraum erwacht, schalt er ärgerlich: „Musst du so lärmen? Lass mich noch ein bisschen! Im Traum war ich längst im Land der Wonne.“

Jetzt machte seine Frau ihrerseits ihm Vorhaltungen, und wütend sagte er: „Als ich vormals noch arm und unbedeutend war, hast du mich auf Schritt und Tritt gegängelt. Aber jetzt bin ich glücklicherweise reich und vornehm, und im Hause Han gelten die eigenen Regeln. Meinst du, ich ließe mich immer noch mit dem Charme einer aufgeputzten Tigerin lenken?“

Seine Frau zog sich an und stand auf. Mit dem Gesicht zur Wand, sagte sie unter Tränen: „Du Schuft! Weißt du noch, wie du deine Stellung als Lehrer verloren hattest, so dass wir zu Abend nicht einmal eine Portion einfache Reissuppe hatten, und wie du mir dann den Haarpfeil aus der Frisur gezogen hast, um ihn zu versetzen, damit du ein Dou Reis kaufen konntest? Nachdem jetzt auf einmal deine Vorsätze verwirklicht sind, siehst du mich nur noch scheel an. Wo ist deine Liebe vom Hochzeitstag geblieben?“

Als Zeng in der Hochstimmung seiner frisch errungenen Vornehmheit hören musste, wie seine Frau jenen Makel aus früheren Tagen auskramte, war er erst recht empört und wollte nicht zurückstecken. Er schlug auf die Nackenstütze und schrie: „Dann will ich mal sehen, was für ein Gesicht du machst, wenn dir vom Kaiser der Ehrentitel einer Beamtengattin verliehen wird!“

Hier hörte er plötzlich, wie dicht neben seinem Ohr jemand mit lachender Stimme fragte: „Habt Ihr einen Alptraum, Herr?“

Er drehte sich herum, um zu schauen, und erblickte einen alten Diener, der, zur Lampe gewandt, seine Jacke aufgeknöpft hatte, um Flöhe zu fangen.

Als Zeng sich nach einiger Zeit gesammelt hatte, brach er mit der Bettdecke in den Armen in lautes Lachen aus. Das Bild des Dieners aber verschwamm schließlich.