OSTASIEN Verlag
  Kontakt
  Reihen
  Zeitschriften
  Gesamtverzeichnis
  Impressum
   
 
   
   
   
   
   
   

Das ewige Reich

Yi Inhwa

   

Roman. Aus dem Koreanischen übersetzt von Frieder Stappenbeck, mit einem Glossar von Martin Hanke

 
   

Reihe Phönixfeder 35
OSTASIEN Verlag
Paperback (23 x 14 cm), iv + 296 Seiten
2017. € 20,80
ISBN-13: 978-3-940527-64-6 (978-3940527646, 978394052646) ISBN-10: 3-940527-64-5 (3940527645)
Vertrieb: CHINA Buchservice / Vormerken

 
   

Die Handlung dieses Romans spielt im Korea der Chosǒn-Dynastie (1392–1910), zu Beginn des Jahres 1800, dem letzten Lebensjahr des Reformkönigs Chǒngjo. 38 Jahre zuvor ließ dessen Großvater, König Yǒngjo, seinen eigenen Sohn, Chǒngjos Vater, den Kronprinzen Sado, in eine Reiskiste einpferchen und dort einen elenden Tod durch Verdursten sterben. Vor dem Hintergrund dieser realen Vorgeschichte, deren Umstände bis heute ungeklärt sind, spinnt Yi In-hwa einen subtilen Kriminalroman, der in seiner Vielschichtigkeit an Ecos Name der Rose erinnert. Ein rätselhafter Mord am Königshof, der am Beginn des Romans steht, führt im Laufe der Untersuchungen zu Einblicken in die politischen wie auch philosophischen Konflikte zwischen rivalisierenden Faktionen unter den Höflingen einerseits und dem König andererseits. Eine zentrale Rolle spielt, wie sich allmählich herauskristallisiert, eine Schrift, die unmittelbar nach dem Mord entwendet wurde.

Der Roman spiegelt eine Epoche Koreas wider, in der sich nicht nur einer der bedeutendsten Könige der koreanischen Geschichte den Ränken und Verschwörungen der einander rivalisierenden Parteien erwehren muss, sondern in der auch westliche Ideen ins Land einzusickern und mit der überlieferten Kultur Koreas in Wettstreit zu treten beginnen.

Yi Inhwa 이인화 [二人化 = Ryu Ch’ŏlgyun 류철균, 柳哲鈞], geboren 1966 in Daegu (Südkorea), machte sich anfangs als Literaturkritiker und Autor historischer Romane einen Namen. Das ewige Reich (Yŏngwŏnhan cheguk 영원한 제국) ist sein zweiter und bekanntester Roman, der bei seinem Erscheinen 1993 in Korea sogleich zum Bestseller avancierte und die Vorlage für einen ebenfalls erfolgreichen Film abgab. Wie auch andere Romane Yi Inhwas löste das Werk zudem eine heftige Kontroverse unter Historikern wegen seiner politischen Aussagen aus.

Frieder Stappenbeck lehrt an der Hankuk University of Foreign Studies in Yongin und Seoul. Yi Inhwas Das ewige Reich stellt seine zweite Übersetzung aus dem Koreanischen dar. Zuvor legte er 2008 unter dem Titel Dem Kaiser! die deutsche Version von Yi Munyǒls Roman Hwangje-rŭl wihayǒ! vor. Im OSTASIEN Verlag ist ein weiterer von ihm übersetzter Roman erschienen, Der Menschensohn (Saram-ŭi adŭl) von Yi Munyǒl.

 
   
   
   

Nachwort des Übersetzers

 

Korea an der Schwelle zum 19. Jahrhundert, zur Zeit der Chosŏn-Dynastie. Der als Reformkönig geltende König Chŏngjo (1752–1800, gekrönt 1776) versucht, seine Macht gegen zahlreiche finstere und blutige Verschwörungen gegen sich zu behaupten. Es ist eine Zeit, in der sich die verschiedenen Parteien am Hofe von Hanyang, dem heutigen Seoul (Sŏul), erbittert bekämpfen, aber es ist auch eine Epoche, in der westliche Ideen ins Land einzusickern und mit der überaus reichen, in der westlichen Welt wundersamerweise noch wenig bekannten Kultur Koreas in Wettstreit zu treten beginnen.

Das ewige Reich beginnt damit, dass in der Tōkyōter Tōyō Bunko-Bibliothek ein verstaubtes Manuskript gefunden wird, welches sich in unerhörter Weise auf die Parteienränke am Hofe König Chŏngjos bezieht. Der Erzähler gibt sich im weiteren Verlauf der Erzählung als Übersetzer ebendieses Manuskripts aus, das dadurch historisch höchst authentisch wirkt.[1]

Der Leser taucht in eine faszinierende Periode der koreanischen Geschichte ein, in die Endphase des sogenannten Goldenen Zeitalters der Yi-Dynastie, das sowohl geprägt war vom (an die fast zeitgleiche Arbeit der französischen Enzyklopädisten erinnernden) überaus reichhaltigen und umfassenden Schriftschaffen der Vertreter der sogenannten „Praktischen Lehre“, die sich zuvorderst um praktische Lösungsansätze für konkrete Probleme sozialer wie politischer Art bemühte und dabei erstmals abendländisches Gedankengut ins Land brachte, als auch von den Intrigen und Ränken zwischen den politischen Lagern der der „Praktischen Lehre“ nahestehenden Faktion der „Männer des Südens“ (namin) und den Vertretern der in der Geschichte Chosŏns meist vorherrschenden Faktion der „Alten Dok­trin“ (noron).

Die sich an einem einzigen Tag zu Beginn des Jahres 1800 ereignende Handlung wurzelt in einem in Korea noch heute jedem Schulkind bekannten und bis heute historisch ungeklärten Geschehnis 38 Jahre zuvor: in der grausamen Hinrichtung des Kronprinzen Sado (1735–1762) auf Geheiß von Sados Vater und Chŏngjos Großvater, nämlich des damaligen Königs Yŏngjo (reg. 1724–1776), der den Sohn in einen Reiskorb einpferchen und ihn darin elendig zugrunde gehen lässt. Ungeklärt ist bis heute Yŏngjos Motiv. Zwei Thesen stehen dabei einander gegenüber: Nach der einen sei der Kronprinz hingerichtet worden, weil er den Verstand verloren haben soll, nach der anderen sei er eliminiert worden, weil er den Interessen der dominierenden Faktion der „Alten Dok­trin“zuwidergehandelt habe. Yŏngjo indes soll ein Jahr später seinen Befehl bereut, sich als das Opfer eines Komplotts gesehen und die Namen der Verschwörer in einer Schrift mit dem Titel „Die Kassette mit dem Goldschloss“ hinterlassen haben, welche nun, im Jahre 1800, der Auslöser ist für einen Machtkampf auf Leben und Tod zwischen den rivalisierenden Parteien im Palastviertel der Hauptstadt Hanyang und für den – letztlich scheiternden – Versuch von König Chŏngjo, sich seiner Gegner zu entledigen.

Die reale Vorgeschichte vom Befehl König Yŏngjos, seinen Sohn, Prinz Sado, elendiglich zugrunde gehen zu lassen, bildet den Hintergrund, vor dem Yi In-hwa seinen Kriminalroman mit einem rätselhaften Mord beginnen lässt, von dem aus die Spur zu jener Schrift führt, deren Inhalt auf höchst kunstvolle Weise enthüllt wird, nämlich zum einen mittels eines Verweises auf ein allgemein bekanntes klassisches chinesisches Gedicht, und zum anderen durch das formale Vorbild des chinesischen Klassikers der Urkunden.

Wenngleich die Handlung fiktiv ist, begegnen dem aufmerksamen Leser jede Menge bedeutender Persönlichkeiten der koreanischen Geschichte, angefangen mit dem als letzter starker König geltenden Chŏngjo über zahlreiche historische Figuren, die als Enzyklopädisten der „Praktischen Lehre“ blei­bende Werke hinterlassen haben, bis hin zu den ersten Anhängern der neuartigen „Lehre des Westens“ (sŏhak), welche weitgehend für den Katholizismus stand, der seinerzeit in Korea Fuß zu fassen suchte und von den Traditionalisten unerbittlich und grausam bekämpft wurde. Eine solche in Korea bis heute nachwirkende Figur ist beispielsweise der große Schriftgelehrte Chŏng Yak-yong (1762–1836) – später bekannter unter seinem Exilnamen Ta-san.

Die Originalausgabe des vorliegenden Romans aus der Feder des 1966 in Taegu geborenen Yi In-hwa erschien erstmals im Jahre 1993 und war in Südkorea sehr erfolgreich; er wurde 1995 zudem verfilmt.

Aber das Werk hat in Südkorea auch maßgeblichen Einfluss auf das Geschichtsbild des eigenen Landes gehabt, zu einem Zeitpunkt, als es im öffentlichen Diskurs um die Frage der nationalen Identität im Verhältnis zu den Nachbarn in Asien und dem Rest der Welt überhaupt ging.[2] Eun-Jeung Lee zufolge sei Das ewige Reich von der Leserschaft so euphorisch aufgenommen worden, dass sogar bald von einem „Yi Inhwa-Syndrom“ gesprochen worden sei.[3] Doch der Roman hat auch kontroverse Diskussionen unter den Historikern des Landes ausgelöst. Wenngleich der Autor unter anderem in seinem Nachwort die Fiktionalität der Handlung betont, polarisierte er durchaus mit der Darstellung der politischen Situation am Chosŏn-Hofe. Beispielsweise entzündete sich die Kritik an der Verbreitung der historisch nicht zu belegenden Legende vom Giftmord an König Chŏngjo; die vom Autor oben in seinem eigenen Nachwort erwähnte Legende aus der Provinz Kyŏngsang gelangte erst durch ihn zu allgemeiner Bekanntheit. Bis zu Beginn der 1990er Jahre überwog in der koreanischen Öffentlichkeit das Bild Chŏngjos als eines schwächlichen, vom Tod des Vaters traumatisierten jungen Königs; durch die Darstellung desselben als reformfreudigen Philosophenkönig trug Yi In-hwa in erheblichem Maße dazu bei, dass Chŏngjo heute zu den großen Chosŏn-Königen gezählt wird. Zahlreiche Kritiker warfen dem Autor jedoch vor, mit dem Roman bewusst sein eigenes, rechtskonservatives Geschichtsbild verbreiten zu wollen – etwa durch die (vom Erzähler im sechsten Kapitel ausgeführte) Behauptung, durch Chŏngjos frühzeitigen Tod sei die eigenständige Modernisierung des Landes abrupt gestoppt und erst durch den aus der Heimat der als fortschrittlich dargestellten „Männer des Südens“, der Provinz Kyŏngsang, stammenden Park Chung-hee in den 1960ern fortgesetzt worden. Auch die Beschreibung der Ränke zwischen den „Männern des Südens“ und der „Alten Dok­trin“als eines Kampfs zweier gegensätzlicher Ideologien entspricht nicht dem aktuellen Stand der Forschung. Zudem zeigt ein erst vor ein paar Jahren publizierter intensiver Briefwechsel zwischen Chŏngjo und Sim Hwan-ji, dem Anführer der „Alten Doktrin“, dass der König nicht nur mehrmals täglich Sim um Rat ersucht, sondern sich mit ihm auch in einem recht persönlichen Ton über die Gesundheit betreffende Dinge ausgetauscht hatte.[4]

Mitten in die Endphase der Redaktion der vorliegenden Übersetzung platzte die Nachricht von der Verhaftung Professor Ryu Ch’ŏl-gyuns, wie Yi In-hwas bürgerlicher Name lautet. Da die Verhaftung im unmittelbaren Zusammenhang mit einer das Land erschütternden Korruptionsaffäre um die kurz darauf ihres Amtes enthobene und unmittelbar danach angeklagte konservative Staatspräsidentin, die Tochter Park Chung-hees, stand, drängt sich die Vermutung auf, Yi In-hwa sei in dieser Phase der politischen Umwälzung ein Opfer seiner konservativen Gesinnung geworden. Zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Buchs war der Prozess gegen ihn noch im Gange und musste die gerichtliche Aufarbeitung dieses Falles erst noch zeigen, ob es sich bei den Anklagen nur um Verleumdungen handelte oder ob sich der Autor tatsächlich einer Straftat schuldig gemacht hatte. In jedem Fall können wir froh sein, dass sich die Behandlung von Beschuldigten zumindest in Südkorea gegenüber der im Roman beschriebenen Zeit sehr zum positiven verändert hat.

Die Frage, ob jener angeblichen politischen Intention des Autors auch in der deutschen Übersetzung Genüge getan oder ob gar der Text politisch bereinigt werden sollte, wie dies in anderen bereits erschienenen Übertragungen geschehen ist, stellte sich dem Übersetzer jedoch nicht.[5] Ihm ging es vorrangig darum, die literarischen Qualitätsmerkmale der koreanischen Vorlage in Form eines neuen Werkes, welches eine literarische Übersetzung nun mal ist, nachzuschaffen. Nach eigenen Angaben hat Yi In-hwa vor und bei der Niederschrift dieses Romans über 200 wissenschaftliche Arbeiten konsultiert; die größte Herausforderung bei der Übersetzung war es daher, all die unzähligen Referenzen an die reiche neokonfuzianische und in hohem Maße vom alten China geprägte Kulturgeschichte Koreas dem westlichen Leser zu vermitteln, ohne dass dessen Leseerlebnis darunter litte.

Schriftstellerkollege Yi Mun-yŏl schreibt äußerst wohlwollend zu dem Werk:

Yi In-hwas Yŏngwŏnhan cheguk ist wahrhaftig nach langer Zeit mal wieder ein Buch, das einen nach durchlesener Nacht be­eindruckt und schockiert zurücklässt. Preist es der Verlag zwar als spannenden Krimi an, so gründet sich die Faszination für den Le­ser in weit mehr als in seinem Krimicharakter. Der wahre Wert dieses Buchs bemisst sich in seiner einzigartigen Deutung der bis­weilen schaudern machenden spätmittelalterlichen Gesellschaft Cho­sŏns und seinem weiten und tiefen Verständnis der Klassiker des Ostens.[6]

[1]   In einem Maße, dass ein Rezensent wie Don Baker schreibt: „He [the author] has created a tale so plausible that it almost can pass for the work of a historian rather than a novelist. Even though the events that form the core of his novel did not actually take place, they could have.“ In: “Introduction: History from the Pen of a Novelist“, in: Yi In-hwa, Everlasting Empire, translated by Yu Young-nan (New York: Eastbridge, 2002), S. vii.
[2]   Vgl. das Übersetzervorwort zur französischen Ausgabe, in: Yi In-hwa, L‘éternel empire, roman traduit du coréen par Tcho Hye-young (Paris: Maisonneuve, 2000), S. 8.
[3]   Eun-Jeung Lee, „Das ewige Reich: Die Konstruktion eines rechts-konservativen Geschichtsbildes nach 1990 in Südkorea, in: Zwischen Selbstbestimmung und Selbstbehauptung. Ostasiatische Diskurse des 20. und 21. Jahrhunderts, hg. von  Michael Lackner (Baden-Baden: Nomos, 2008), S. 374-385.
[4]   Vgl. Lee Kyong-hee, „Joseon ruler’s letters undermine accepted history“, in: Korea Joonggang Daily, http://bit.ly/2qRjOHc, 10. Februar 2009.
[5]   Vgl. Frieder Stappenbeck, „‚Kulturübersetzung‘ am Beispiel von Yi In-hwas Roman Yŏngwŏnhan cheguk 영원한 제국 (Das ewige Reich) und seiner französischen, englischen, spanischen und deutschen Übersetzung“, in: Möglichkeiten und Grenzen des Übersetzens (= Orientierungen: Zeitschrift zur Kultur Asiens 27 (2015). Gossenberg: Ostasien-Verlag, 2016), 287-301.
[6]   Yi Mun-yŏl in: Yi In-hwa, Yŏngwŏnhan cheguk 영원한 제국 (P’aju-si: Segyesa, 2006), 370.