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Revolutionäre Jugend
 
   
Zhang Langlang
 
   
2   Ich und die Todeszelle
 
   
(6)
 
   

Vor der Kulturrevolution, Anfang der 1960er, gab es viele kulturell interessierte Grüppchen, aber in Guo Shiyings X-Gesellschaft und in unserem Kunstsalon, der „Sonnentruppe” , sahen die Behörden dann richtige Organisationen. Guo Shiying und ich waren Mitschüler, beide waren wir auf dem Gymnasium Nr.101, beide begeisterten wir uns für Literatur und Kunst. Auf einer Abendveranstaltung zum Gedenken an Lu Xun hat er den „Reisenden “ gespielt, ich habe beim „Glückwunsch “ Regie geführt. Wir haben wunderbar zusammengearbeitet, die Gesprächsthemen gingen uns nie aus. Einseitig wie man als junger Mensch ist, hielt ich aber ganz und gar nichts von seinem Vater, dem alten Herrn Guo Moruo, ich fand, der Mann hatte keinen Mumm in den Knochen, und seine Gedichte taugten nichts; ich konnte nicht wissen, wie schwer er es hatte.

Dann studierte Guo Shiying Philosophie an der Peking-Universität, ich ging auf die Zentrale Kunsthochschule, jeder von uns hat seine Gruppe, hat einen „Salon “ organisiert. […]

Zhang Jiuxing, Zhang Xinhua, Dong Shabei, Yu Zhixin, Zhang Zhenzhou, Yang Xiaomin, Zhang Runmin und andere waren Mitglieder der „Sonnentruppe” gewesen; ich hatte eine Satzung entworfen, in der es hieß: „In der [großen literarischen] Bewegung vom 4. Mai 1919 sah man in so manchem einen neuen Prometheus – wohin sind sie verschwunden? Geblieben ist nach allen den Jahren nur der eine Lu Xun! Auch in unseren Herzen hat der Teufel ein Feuer entfacht, das wir hochhalten wollen wie Danko,[1] um aus Schlamm und Dunkelheit zu entrinnen! “

Alle, die bei der Sonnengruppe oder sonst mit mir in Berührung gekommen waren, wurden nun belangt. Vielen hat dies das Leben zerstört.

Zhang Jiuxing war in der Armee, Offizier der Panzertruppe; als die Kulturrevolution kam, wurde er von den Militärjuristen zu einer Aussage über eine angebliche „landesverräterische Gruppe “ getrieben und brachte sich um.

Gan Lulin, ebenfalls Armeeoffizier, stand in Guangxi an der Front gegen Vietnam, hatte den Befehl erhalten, zur Untersuchung nach Peking zurückzukommen, und wurde von einer Kugel getroffen; es hieß, er habe Selbstmord begangen, die Familie spricht von Mord.

Ein anderer Freund und ich kamen in die Todeszelle.

Yu Zhixin kam zur Arbeitserziehung auf eine Staatsfarm, später in eine Landwirtschaftsbrigade des Militärs in Xinjiang. Nach der Kulturrevolution verlor sich seine Spur. Vor zwei Jahren haben wir ihn gefunden. Er war völlig verändert, kann sich im Leben nicht mehr allein behelfen. […]

Verwandte, Freunde, Mitschüler, fast keiner, der mit mir etwas mehr zu tun gehabt hatte, entging dem Unheil. So kam Yang Xiaomin, Absolvent der Sprachschule in Peking, in eine Fabrik und hat dort auf Dauer bleiben müssen. Jiang Jianguo, der Bruder meiner Freundin Jiang Ding’ao, wurde meinetwegen derart geschlagen, dass ihm das Trommelfell geplatzt ist. Ihrer Schwester, Jiang Dinghui, sind im Gesicht bis heute die Brandnarben von den Zigaretten geblieben, mit denen sie gefoltert wurde. Usw., usw., usw., usw. Hunderte wurden in meinen Fall hineingezogen, bis heute habe ich ihnen und ihren Familien gegenüber ein schlechtes Gewissen, auch wenn ich das nie gewollt habe und daran auch nichts ändern konnte. Aber das Unheil hat von mir seinen Ausgang genommen, und ich kann nur hoffen, dass sie mir verzeihen.

Die Sonnentruppe war nie eine politische Organisation und hat nie politische Forderungen erhoben. Sie wollte nur Gedichte schreiben, malen, sie wollte schöpferische Freiheit – letztlich: Redefreiheit und Gedankenfreiheit.

Diese unsere vor über dreißig Jahren erhobene kleine Forderung lässt sich, hoffe ich, im kommenden Jahrhundert in meinem Vaterland verwirklichen.

[1]    In Gorkis Märchen von der „Alten Isergil “ reißt sich Danko das brennende Herz aus der Brust und hält es als Fackel hoch, um in ihrem Licht seinen Stamm aus der Wildnis zu führen.

 
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